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Charta zur Digitalisierung: gemeinsam zu tragfähigen Lösungen

Die Schweizer Landwirtschaft nutzt die Möglichkeiten der Digitalisierung erst wenig. Eine Charta, die 2018 lanciert wurde, hat das Ziel, die Digitalisierung der Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft weiterzuentwickeln und das Potenzial im Interesse aller Beteiligten auszuschöpfen.

Die Digitalisierung hat in der Landwirtschaft seit den 1980er-Jahren grosse Fortschritte erzielt. In der Tierhaltung wird vor allem der Melkroboter eingesetzt. Im Ackerbau und bei den Spezialkulturen sind hauptsächlich Fahrerassistenzsysteme verbreitet.

Sowohl in der Tierhaltung wie auch im Pflanzenbau zeigt sich, dass digitale Technologien in der Schweiz vor allem eingesetzt werden, um körperlich anstrengende Arbeit zu reduzieren und den Arbeitsalltag zu vereinfachen. Für Managemententscheidungen, z. B. die gezielte Ausbringung von Produktionsmitteln wie Dünger, Pflanzenschutzmitteln oder Antibiotika, werden digitale Tools erst wenig genutzt.

Die derzeit noch geringe Verbreitung der Digitalisierung in der Praxis ist auf unterschiedliche Faktoren zurückzuführen:

  • Manche digitalen Anwendungen sind noch nicht genügend reif für den praktischen Einsatz.
  • Die verschiedenen Tools und Geräte sind kaum miteinander vernetzt und damit das Management und der Informationsgewinn erschwert.
  • Es bestehen offene Fragen zur technischen Infrastruktur und zu den rechtlichen Rahmenbedingungen.

Charta zur Förderung der Digitalisierung

Im Jahr 2018 wurde unter der Federführung des Bundesamts für Landwirtschaft BLW eine Charta zur Digitalisierung der Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft lanciert. Sie wurde bis Ende 2019 von 110 Institutionen aus der Industrie, der Landwirtschaft, der Verarbeitung, des Detailhandels und der Verwaltung unterzeichnet. Damit haben sie sich verpflichtet, einen aktiven Beitrag zur Digitalisierung der Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft zu leisten.

Gleiche Ziele, verschiedene Herausforderungen

Die Mitglieder der Chartagemeinschaft tragen alle zur Digitalisierung der Landwirtschaft bei, verfolgen dabei unterschiedliche Teilziele und sehen sich mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert:

Ziel des BLW ist es, den Dialog zwischen den verschiedenen Akteuren und den Datenaustausch zu fördern. Sein zentrales Instrument ist das agrarpolitische Informationssystem AGIS. Zusammen mit dem Bundesamt für Statistik BFS und dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV entwickelt das BLW ein Masterdatenkonzept, um das Management und die Verwendung öffentlich-rechtlicher Daten entlang der Lebensmittelkette zu vereinfachen. Die Vernetzung und Inwertsetzung der Daten stellt grosse Herausforderungen technischer, betrieblicher, rechtlicher und finanzieller Natur dar.

Die Barto AG entwickelt einen digitalen Hofmanager, mit dem Schweizer Landwirtinnen und Landwirte ihre Vorgänge mit weniger administrativem Aufwand dokumentieren können. Die Plattform von Barto steht allen Akteuren offen, und Branchenpartner können eigene Applikationen auf Barto anbieten. Grundlegende Herausforderungen sind fehlende einheitliche Standards für den Datenaustausch und die Finanzierung technischer Lösungen für den kleinen Schweizer Markt. Die Hauptaktionäre von Barto sind die Identitas AG und die fenaco Genossenschaft.

Die Zielsetzung von Agroscope ist es, mithilfe der Digitalisierung und der damit zur Verfügung stehenden Daten einen Mehrwert für die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft zu schaffen. Dabei stehen folgende Kernbereiche im Vordergrund:

  • Produktionsoptimierung und datenbasierte Entscheidungsunterstützung mit dem Ziel, das Potenzial der Digitalisierung für die Schweizer Landwirtschaft zu nutzen.
  • Handlungsempfehlungen zuhanden Praxis und Politik auf Grundlage des Wissens zu neuen Technologien und wie diese in der Praxis angenommen und verbreitet werden.

Die Herausforderungen liegen in der Breite des notwendigen Wissens, der rasanten technologischen Entwicklung und den heterogenen Ansprüchen der einzelnen Nutzergruppen.

Die Beratungszentrale AGRIDEA hat bereits in den 1990er-Jahren das Betriebsmanagementsystem AGRO-TECH entwickelt, das bis heute im Einsatz ist. Weitere digitale Tools sind etwa das Collaboration-Tool AGRIconnect oder die Datensammlung AGRIpedia. In Pilotprojekten untersucht AGRIDEA die Kombination von Face-to-Face- und Online-Beratung (Blended Counseling) und ob die Beratung bei einfachen Fragen mit Chatbots entlastet werden könnte. Die Herausforderungen für AGRIDEA sind die Komplexität der Fragestellungen, die hohen Kosten für die Entwicklung, die Akzeptanz, die fehlende Bereitschaft vieler Kunden, für digitale Angebote zu bezahlen sowie der unterschiedliche Digitalisierungsgrad der Kunden.

Die Swiss Future Farm in Tänikon (TG) ist ein europäisches Pionierprojekt und verfolgt drei Ziele: Das Greifbarmachen der Digitalisierung für die Praxis, die Unterstützung von Forschung und Entwicklung sowie der Wissenstransfer. Auf dem Versuchsbetrieb wird der Nutzen von Smart-Farming-Technologien evaluiert. Der Forschungspartner Agroscope am Standort Tänikon fokussiert sich auf ein gesamtbetriebliches, Indikatoren-basiertes Management. Eine grosse Herausforderung für die Swiss Future Farm ist die Kompatibilität der digitalen Systeme, die für die Vernetzung von Betriebsprozessen sowie für den Datenaustausch mit der Forschung und Dritten nötig ist.

Der Schweizer Bauernverband (SBV) sieht seine Hauptaufgabe darin, in den Projekten, an denen er beteiligt ist, die Interessen der Bauernfamilien zu vertreten. Der SBV sieht in der Digitalisierung ein grosses Potenzial, z. B. um Produktionsmittel wie Mineraldünger, Pflanzenschutzmittel und Antibiotika einzusparen oder um die Administration zu vereinfachen. Er sieht aber auch Risiken der Digitalisierung, zum Beispiel den Datenschutz. So sind erntebezogene Daten ein zentrales Element der Marktspekulation und könnten verwendet werden, um Preisdruck auf die Landwirte auszuüben. Auch die Rentabilität der digitalen Technologien in der kleinräumigen Schweizer Landwirtschaft muss gemäss SBV geprüft werden.

Grosses Interesse am Austausch

Knapp zwei Jahre nach ihrer Lancierung lässt sich feststellen: Die Charta trägt zur Diskussion aktueller Fragestellungen auf nationaler und internationaler Ebene bei, und der Ausschuss der Charta unterstützt die Mitglieder der Chartagemeinschaft bei der Lösungsfindung und Beantwortung dieser Fragestellungen im Schweizer Kontext. Dazu führt er Online-Umfragen oder Tagungen durch, z. B. zum Thema Datenschutz und Datennutzungsrechte, die auf grosses Interesse stossen.

Die Aktivitäten einzelner Akteure zeigen verschiedenste Herausforderungen bei der Umsetzung der Leitlinien der Charta:

  1. Die Privatwirtschaft hat die Nase vorn bei der Entwicklung von neuen Sensortechnologien und Plattformlösungen. Deshalb ist eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Entwicklern nötig.
  2. Die Standardisierung des Datenaustauschs und die Bewältigung der hohen Investitionen ist nur in partnerschaftlicher Zusammenarbeit möglich, von Cooperation (Zusammenarbeit) bis Coopetition (Kooperationswettbewerb).
  3. Die Interessen der einzelnen Akteure sind sehr unterschiedlich. Daraus entstehen Zielkonflikte, die die Nutzung der Digitalisierung verlangsamen. Der Diskurs zwischen allen Akteuren verbessert aber das gegenseitige Verständnis und hilft, breit abgestützte Lösungswege zu finden. Damit erhöhen sich die Akzeptanz und die Erfolgschancen gegenüber punktuellen, nicht aufeinander abgestimmten Aktivitäten einzelner Interessenvertreter.
  4. Die Vernetzung der verschiedenen Technologien miteinander und mit den Systemen der Verwaltung bedingt die Schaffung entsprechender rechtlicher Rahmenbedingungen und Regelungen für einen sicheren Datenaustausch.

Die Aufgabe der Verwaltung könnte die Förderung einer Dateninfrastruktur sein, die einen standardisierten Datenaustausch zwischen der öffentlichen Hand und der Privatwirtschaft ermöglicht. Dazu gehören zum Beispiel die Festsetzung von technischen Standards, standardisierte Programmierschnittstellen und die Entwicklung der dazu notwendigen Prozesse.

Fazit

  • Die Schweizer Landwirtschaft nutzt digitale Technologien bisher hauptsächlich zur Reduktion körperlich anstrengender Arbeit und weniger als Grundlage für Managemententscheidungen.
  • Die im Jahr 2018 lancierte Charta zur Digitalisierung der Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft wurde bereits von mehr als 100 Mitgliedern aus Industrie, Landwirtschaft, Verarbeitung, Detailhandel und Verwaltung unterzeichnet.
  • Grosse Herausforderungen liegen beim Austausch und der Auswertung von Daten, in der interdisziplinären Zusammenarbeit sowie bei rechtlichen Rahmenbedingungen, welche die Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt gewährleisten.
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