FiBL, Schweizerische Vogelwarte Sempach

Quantität und Qualität naturnaher Lebensräume im Agrargebiet des Mittellandes

Im Mittelland beträgt der Anteil an Biodiversitätsflächen (BFF) heute deutlich mehr als die geforderten 7 %. Auch die Qualität der Flächen hat sich verbessert. Drei Viertel der BFF sind aber nach wie vor kaum als «naturnahe Lebensräume» erkennbar.

Die Artenvielfalt nahm in den letzten Jahrzehnten im Landwirtschaftgebiet besonders stark ab. Das Schweizerische Bundesamt für Landwirtschaft BLW versucht mit seinem Direktzahlungssystem Gegensteuer zu geben, indem es für Anlage, Bewirtschaftung, Qualität und Vernetzung von «Biodiversitätsförderflächen» (BFF) Beiträge auszahlt. In der vorliegenden Studie wird auf der landwirtschaftlichen Nutzfläche von 133 Bauernhöfen, die für das zentrale schweizerische Mittelland repräsentativ sind (insgesamt 32,2 km2), untersucht, wie viele naturnahe Lebensräume vorhanden sind und zu welchem Habitattyp sie gehören. Es zeigt sich, dass der Anteil der naturnahen Lebensräume mit 3,86 % bzw. 6,36 % inklusive Bäume noch deutlich unter dem Zielwert liegt, der in den Umweltzielen Landwirtschaft vorgegeben ist. Drei Viertel der flächigen BFF erfüllen die relativ einfach zu erreichenden Kriterien nicht, um in unserer Kartierung als «naturnaher Lebensraum» zu gelten.

Abb. 1: Grossflächige artenarme Extensivwiese, welche die Bedingungen um als «naturnaher Lebensraum» kartiert zu werden, nicht erfüllt. (Foto: Roman Graf, Schweizerische Vogelwarte)

Noch immer betrachten etliche Bewirtschaftende die Förderung der Biodiversiät auf ihren Betrieben als zweitrangig. Aber es wäre verfehlt, die bescheidene Ausstattung der Landschaft mit naturnahen Lebensräumen nur den Landwirtinnen und Landwirten anzulasten. Die Studie zeigte Folgendes:

  • Auf 49 Höfen, die sowohl 2009 als auch 2015 untersucht wurden, nahm die Fläche der naturnahen Lebensräume in dieser, vergleichsweise kurzen Zeitspanne um 59 % zu. Auch die Zahl der Bäume stieg beträchtlich an. Dieser Effekt ist zum Teil auf die spezifische Biodiversitätsberatung zurückzuführen, die auf einigen dieser Höfe durchgeführt wurde. Aber auch auf den nicht beratenen Betrieben gab es bei der Zweitkartierung mehr naturnahe Lebensräume und Bäume.
  • Ungünstige standortbezogene und betriebliche Voraussetzungen schränken auf manchen Betrieben den Handlungsspielraum ein. Besonders hemmend wirkt der Nährstoffüberschuss in manchen Mittellandregionen. Eindrücklich manifestiert sich dies zum Beispiel am verschwindend kleinen Anteil mesophiler* und nährstoffarmer Gehölzsäume (< 1 %).
  • Landwirtinnen und Landwirte werden durch das aktuelle Beitragssystem zum Teil dazu motiviert, nicht den zum Standort passenden BFF-Typ anzulegen. Oft ist der BFF-Typ, der am meisten Beiträge generiert, nicht derjenige, der am entsprechenden Standort die beste Biodiversitätswirkung erzielen würde.
  • Zwar ist Ökologie ein Thema der landwirtschaftlichen Ausbildung, aber die Zeit, welche für die Vermittlung der Inhalte zur Verfügung steht, ist sehr bescheiden. Besonders der Mangel an ackertypischen BFF ist mindestens zum Teil auf diesen Ausbildungsmangel zurückzuführen.

* Lebenwesen, die mittlere, nicht extreme Umweltbedingungen bevorzugen, insbesondere bei Temperatur und Feuchtigkeit.

Abb. 2: Artenreiche Fettwiesen, hier eine besonders blütenreiche Fläche, sind mit einem Anteil von 1,7% an der Gesamtfläche (ohne Wald und Siedlung) der häufigste naturnahe Habitattyp im zentralen schweizerischen Mittelland. (Foto: Roman Graf, Schweizerische Vogelwarte)
Abb. 3: Diese periodisch vernässte Parzelle in einem entwässerten Flachmoor würde sich für die Anlage eines temporären Gewässers bestens eignen und sich dann sehr positiv auf die ortstypische Biodiversität auswirken. Bis eine solche Massnahme umgesetzt werden kann, muss nicht nur viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, auch zahlreiche administrative Hürden sind zu überwinden. (Foto: Roman Graf, Schweizerische Vogelwarte)

Fazit

Bis jetzt gelang es nicht, die «Umweltziele Landwirtschaft» im Bereich Lebensräume und Biodiversität zu erreichen. Die folgenden Massnahmen würden die Situation verbessern:

  • gezielte Aus- und Weiterbildung der Landwirte und Landwirtinnen
  • Förderung der ökologischen Betriebsberatung
  • bessere Berücksichtigung der standortbezogenen Verhältnisse bei der Planung der Biodiversitätsförderflächen
  • Investitionshilfen im Bereich ökologische Infrastruktur
  • Weiterführung der Strategie, Flächen der Qualitätsstufe II besonders stark zu fördern
  • Bekämpfung des Stickstoff-Überschusses
  • Flexibilisierung der Voraussetzungen, Auflagen und Beiträge für die Biodiversitätsförderung.
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