Agroscope, ETH Zürich

Einkommen in der Landwirtschaft: ganzheitliche Analyse nötig

Landwirtschaftsbetriebe, ihre Risiken und verschiedenen Rahmenbedingungen werden immer komplexer. Deshalb sollte das landwirtschaftliche Einkommen ganzheitlicher betrachtet werden.

Das Einkommen aus Produktions- und Konsumperspektive

Wirtschaftlich tragfähige Betriebe sind die Voraussetzung für resiliente Agrar- und Ernährungssystemen. Gemessen wird die wirtschaftliche Tragfähigkeit oft anhand des landwirtschaftlichen Einkommens. Es kann aus zwei Perspektiven betrachtet werden:

  1. Eine produktionsseitige Perspektive widerspiegelt die Wertschöpfung auf Betriebs- oder Sektorebene, die mit dem Einsatz von Arbeit, Boden und Kapital erzielt wird.
  2. Eine konsumseitige Perspektive zeigt das für den Konsum der Mitglieder des landwirtschaftlichen Haushalts verfügbare Einkommen aus der landwirtschaftlichen und der nicht-landwirtschaftlichen Tätigkeit.

Obwohl das für den Konsum verfügbare Einkommen auf der Ebene landwirtschaftlicher Haushalte ein Schlüsselelement für die Bewertung des Lebensstandards und damit der wirtschaftlichen und sozialen Nachhaltigkeit wäre, fokussiert die (politische) Diskussion häufig auf produktionsseitige Kennzahlen. Daher sollte die Konsumperspektive landwirtschaftlicher Haushalte bei der Evaluierung der Erreichung agrarpolitischen Einkommensziele grössere Beachtung finden.

Die verschiedenen Facetten des Einkommens

Drei verschiedene Facetten des Einkommens sind im Zusammenhang mit der Agrarpolitik besonders relevant:

  1. Das durchschnittliche Einkommensniveau ist ein häufig verwendeter Indikator für das allgemeine Wohlergehen der landwirtschaftlichen Betriebe und des Agrarsektors in Gänze. Dieser Indikator wird verwendet, um die Entwicklung im Laufe der Zeit zu beurteilen, und Einkommen in der Landwirtschaft mit dem Einkommen nichtlandwirtschaftlicher Haushalte zu vergleichen.
  2. Die Variabilität des Einkommens im Zeitverlauf spiegelt die Einkommensrisiken landwirtschaftlicher Betriebe wider. Schwankende Einkommen mindern das objektive und subjektive Wohlbefinden, insbesondere risikoscheuer Landwirte, und verringern die Anreize zu produzieren, zu investieren und zu innovieren.
  3. Die Einkommensverteilung innerhalb der landwirtschaftlichen Bevölkerung ist relevant, um die Heterogenität und (Un-)Gleichheit der Einkommen zu bewerten. Dabei umfasst die Frage der Ungleichheit sowohl die Einkommensungleichheit innerhalb der landwirtschaftlichen Sektors als auch zwischen landwirtschaftlicher und nichtlandwirtschaftlicher Bevölkerung.

Der Fokus auf mittlere Einkommensniveaus steht oft im Fokus agrarpolitischer Diskussionen, sollte aber konsequent um die Aspekte Variabilität und Verteilung ergänzt werden.

Neue Perspektiven für eine umfassende Politikbewertung

Die Betriebsstrukturen sowie die Markt-, biophysikalischen und politischen Rahmenbedingungen haben sich in den letzten Jahren so verändert, dass die Erkenntnisse und Instrumente aus der Vergangenheit heute zu verzerrten politischen Schlussfolgerungen führen können. Insbesondere die folgenden drei Aspekte sind dabei hervorzuheben:

  1. Die zunehmende Komplexität der Betriebe (complex farms) hinsichtlich Technologien, Produktionssystemen und Einkommensquellen. Mehrfacheigentum, verteiltes Eigentum, die geografische Streuung eines landwirtschaftlichen Betriebs und eine komplexere Situation beim Einsatz von Arbeitskräften nehmen in der europäischen Landwirtschaft zu.
  2. Die zunehmende Risikoexposition der europäischen Landwirtschaftsbetriebe, zum Beispiel durch Klimawandel, wirkt sich auf das wirtschaftliche Wohlergehen der Betriebe aus. Oft fehlt es noch an effizienten Versicherungslösungen zur Bewältigung von Risiken, insbesondere der zunehmend relevanten Klimarisiken wie Dürren und Hitzewellen.
  3. Die zunehmende Komplexität der Agrarpolitik. Die Zusammenhänge zwischen verschiedenen politischen Massnahmen und Entscheidungen auf Betriebsebene und auf der Ebene des landwirtschaftlichen Haushalts zu verstehen, ist entscheidend, um den Einfluss politischer Massnahmen zu bewerten.

Dies bedeutet für die Agrarpolitik, dass neue Methoden und Daten für eine ganzheitliche Analyse der Einkommenssituation in der Landwirtschaft, aber auch neue Instrumente benötigt werden.

Fazit

  • Neben der Wertschöpfung aus der landwirtschaftlichen Produktion sollten die Konsummöglichkeiten der Familienmitglieder eines landwirtschaftlichen Haushalts in der Einkommensanalyse berücksichtigt werden.
  • Bei der Evaluation des Effektes agrarpolitischer Massnahmen auf die ‘Einkommen’ braucht es eine ganzheitliche Perspektive auf alle drei Facetten, das Einkommensniveau, die Einkommensvariabilität und die Einkommensverteilung.
  • Die zunehmende Komplexität der Betriebsstrukturen, die steigende Risikoexposition und die zunehmende Komplexität der Agrarpolitik verlangt nach neuen Instrumenten, Methoden und Daten für eine ganzheitliche Analyse der Einkommenssituation in der Landwirtschaft.
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