Agroscope

Wahrnehmung der sozialen Nachhaltigkeit wird durch Identität der Landwirte und Betriebstyp bestimmt

Wie nehmen Landwirtinnen und Landwirte die soziale Nachhaltigkeit ihrer Betriebe wahr? Eine Agroscope-Studie zeigt, dass die Einschätzung von deren Identität und dem Betriebstyp abhängt.

Es besteht kein Konsens über die soziale Nachhaltigkeit von landwirtschaftlichen Betrieben. Insbesondere ist unklar, wie soziale Nachhaltigkeit gemessen werden kann und wie nachhaltig landwirtschaftliche Betriebe in Bezug auf soziale Aspekte sind, obwohl diese Aspekte wesentlich zu einer umfassenden Nachhaltigkeit beitragen. In einer von Agroscope im Jahr 2022 durchgeführten Studie wurde untersucht, wie stark die soziale Nachhaltigkeit von Landwirtschaftsbetrieben durch den Kontext bestimmt wird. Dazu wurden im Rahmen eines Mixed-Methods-Ansatzes mit qualitativen Interviews und einer Online-Befragung von 354 Schweizer Betriebsleitern die für die Landwirte wichtigsten Aspekte der sozialen Nachhaltigkeit ermittelt. Die Gewichtung dieser Aspekte hängt ab von der Haupttätigkeit des Betriebs (Milchviehhaltung, Ackerbau, Viehzucht) und der Identität der Betriebsleitenden (produktionsorientiert, konservativ, leidenschaftlich sorgend, zukunftsorientiert). In der Studie wurden zusätzlich die Erfahrungen der Betriebsleiter mit der sozialen Nachhaltigkeit in ihren Betrieben untersucht.

Für jeden Betriebstyp sind unterschiedliche soziale Aspekte relevant

Für die Leiter von Milchviehbetrieben ist die soziale Nachhaltigkeit eng mit wirtschaftlichen Aspekten verbunden. Ihr vorrangiges Ziel ist es, ein ausreichendes Einkommen für die Existenz der Familie und die Tragfähigkeit des Betriebs zu erwirtschaften. Deshalb wünschen sie sich faire Preise für ihre Produkte. Die soziale Nachhaltigkeit ist für sie auch mit der Führung eines Familienbetriebs und der Sicherung der Nachfolge verknüpft. Diese Aspekte sind auch für die Leiter von Viehzuchtbetrieben wichtig. Diese Landwirte sind jedoch tendenziell pessimistischer und glauben eher, dass soziale Nachhaltigkeit in ihren Betrieben aufgrund von gesetzlichen Beschränkungen und Anforderungen an die Tierhaltung nicht erreichbar ist. Für Leiter von Ackerbaubaubetrieben besteht ein positiver Zusammenhang zwischen sozialer Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Sie schätzen ausserdem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie als entscheidend für ihr Sozialleben ein. Allerdings sehen sie einen Mangel an öffentlicher Wertschätzung und folglich an Unterstützung in ihrer Rolle als Landwirte, was sich negativ auf ihre Wahrnehmung sozialer Nachhaltigkeit auswirkt. Schliesslich legt die Studie nahe, dass die Altersvorsorge und soziale Sicherheit wichtige Themen sind für alle Landwirtinnen und Landwirte, unabhängig vom Betriebstyp.

Zukunftsorientierte Landwirte machen positivere Erfahrung mit sozialer Nachhaltigkeit

Die statistische Analyse der Umfrage ergab vier verschiedene Identitäten von Landwirten in der Schweiz. Produktionsorientierte Landwirte konzentrieren sich auf die Produktion und betrachten Umweltschäden als vernachlässigbar. Konservative Landwirte orientieren sich an traditionellen Werten und sind gegenüber Risiken und neuen Technologien zurückhaltend. Leidenschaftlich sorgende Landwirte verfügen über eine hohe moralische und emotionale Bindung an die Landwirtschaft und wollen den Fortbestand der Familienbetriebe sichern. Zukunftsorientierte Landwirte sind an Innovationen und an der Optimierung von Erträgen bei gleichzeitiger Schonung der Umwelt interessiert.

Zukunftsorientierte Landwirte scheinen positivere Erfahrungen mit sozialer Nachhaltigkeit in ihren Betrieben als andere Landwirte zu machen. Sie haben ein besseres Verhältnis zu den anderen Akteuren und empfinden mehr Wertschätzung von der Öffentlichkeit. Ausserdem ist ihr soziales Leben befriedigender und sie beurteilen ihre Arbeitsbedingungen und -rechte positiv. Innovation in landwirtschaftlichen Betrieben könnte somit die soziale Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft fördern. Umgekehrt könnten aber auch positivere Erfahrungen mit sozialer Nachhaltigkeit die Innovation in landwirtschaftlichen Betrieben fördern. Es stellt sich die Frage, ob und wie die Erfahrungen mit sozialer Nachhaltigkeit bei allen Landwirten verbessert werden können und wie innovative landwirtschaftliche Methoden und Einstellungen von zukunftsorientierten Landwirten auf andere Landwirte übertragen werden können.

Fazit

  • Soziale Nachhaltigkeit wird je nach Haupttätigkeit des Betriebs und je nach Identität der Landwirtinnen und Landwirte unterschiedlich wahrgenommen.
  • Die Übertragung von Praktiken und Einstellungen zukunftsorientierter Landwirte auf andere Landwirte könnte dazu beitragen, die soziale Nachhaltigkeit aller landwirtschaftlichen Betriebe zu verbessern.
  • Aussagekräftige Indikatoren zur sozialen Nachhaltigkeit müssen anpassungsfähig und auf den jeweiligen Betriebstyp zugeschnitten sein. Sie müssen berücksichtigen, wie relevant die einzelnen Aspekte sind und wie die Landwirte soziale Nachhaltigkeit wahrnehmen.
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