Gemeinsam verantwortlich: Bevölkerungsperspektiven auf die Agrar- und Ernährungspolitik
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mit Adobe Firefly
(Prisca Koller, 2025)
Die Schweizer Bevölkerung sieht Staat, Landwirtschaft, Detailhandel und Konsum gemeinsam verantwortlich für die Umstellung auf nachhaltigere Ernährungssysteme. Dies zeigen zwei Umfragen von Agroscope und ETH Zürich.
Die Umstellung auf nachhaltigere Ernährungssysteme ist ein zentrales Thema der Agrar- und Ernährungspolitik. Nun zeigt eine Studie von Agroscope und ETH Zürich, wie Menschen in der Schweiz die Verantwortlichkeiten verschiedener Gruppen – nämlich Staat, Landwirtinnen und Landwirte, Detailhändler und Konsumentinnen und Konsumenten – hierbei wahrnehmen.
Es wurden die Ergebnisse von zwei repräsentativen Umfragen in der Deutschschweiz ausgewertet. Die erste konzentrierte sich auf produktionsorientierte agrarpolitische Ziele wie Tierwohl, Biodiversität oder angemessene Einkommen für Landwirtinnen und Landwirte. Die zweite Umfrage untersuchte nachfrageseitige Massnahmen für einen nachhaltigen Lebensmittelkonsum, etwa Informationskampagnen oder Steuern auf bestimmte Produkte. Gefragt wurde, ob Staat, Landwirtinnen und Landwirte, Detailhändler und/oder Konsumentinnen und Konsumenten verantwortlich sind. Zudem wurden soziodemografische Merkmale und Einstellungen zu Politik, Umwelt und Gesundheit erhoben.
Alle Akteure werden als verantwortlich betrachtet
Die Ergebnisse zeigen, dass viele Schweizer Bürgerinnen und Bürger ein umfassendes Ernährungssystem vor Augen haben und eine gemeinsame Verantwortung von Staat, Landwirtinnen und Landwirten, Detailhändlern und Konsumenten sehen. Sowohl für Produktions- als auch für Konsumthemen sehen die Studienteilnehmenden alle Akteure als verantwortlich bis sehr verantwortlich, mit relativ geringen Abstufungen (Abb. 1).
In der Umfrage zu produktionsorientierten Zielen – also der klassischen Agrarpolitik – wurde der Staat als der Akteur mit der höchsten Verantwortung genannt. Bei konsumorientierten Massnahmen hingegen wurden Konsumentinnen und Konsumenten die meiste Verantwortung zugeschrieben. Dies spiegelt möglicherweise eine gesellschaftliche Erwartung wider, dass Einzelpersonen durch ihre Konsumentscheidungen zur Nachhaltigkeit beitragen sollten.

Regressionsanalysen ergaben, dass die wahrgenommene Verantwortung der Akteure ein signifikanter Prädiktor für die Akzeptanz politischer Massnahmen ist. Insbesondere korreliert die wahrgenommene Verantwortung des Staates stark mit der Akzeptanz von Massnahmen zu nachhaltigem Lebensmittelkonsum. Bürgerinnen und Bürger, die den Staat als verantwortlich für konsumseitige Themen ansehen, sind eher bereit, verschiedene Massnahmen zu akzeptieren. Dies gilt auch für restriktive Massnahmen wie zusätzliche Steuern auf gewisse Produkte oder Vorschriften für Kantinenmenüs, die persönliche Konsumgewohnheiten einschränken könnten.
Bewusstsein für ganzheitliches Ernährungssystem
Insgesamt zeigt die Studie, dass ein Grossteil der Schweizer Bevölkerung heute bereits ein systemisches Verständnis von Agrar- und Ernährungspolitik hat. Die Befragten verstehen, wie eng Lebensmittelproduktion und Konsum zusammenhängen, und sehen eine gemeinsame Verantwortung politischer und privatwirtschaftlicher Akteure in beiden Bereichen. Es entspricht somit dem Willen der Bevölkerung, in politischen Prozessen auf die Verantwortung aller zu setzen, um nachhaltigere Ernährungssysteme zu schaffen.
Neue Verantwortlichkeit des Staates für eine Ernährungspolitik
Ausserdem zeigt die Studie, dass konsumseitige Politikmassnahmen tendenziell eher akzeptiert werden, wenn sie im Verantwortlichkeitsbereich des Staates gesehen werden. Da sich die Agrarpolitik traditionell auf die Produktionsseite beschränkt hat und konsumorientierte Massnahmen im Rahmen einer Ernährungspolitik relativ neu sind, ist auch diese Verantwortlichkeit des Staates relativ neu. Möchte man solche Massnahmen umsetzen, sollte diese neue Verantwortlichkeit so kommuniziert werden, dass sie nicht als paternalistische Bevormundung privater Konsumentscheidungen verstanden wird.
Fazit
- Die Bevölkerung in der Deutschschweiz wurde zu Verantwortlichkeiten für nachhaltige Agrar- und Ernährungssysteme befragt.
- Viele Bürgerinnen und Bürger haben ein systemisches Verständnis und ordnen Agrar- und Ernährungsthemen einer ganzheitlichen Ernährungspolitik zu, in der dem Staat auch für konsumseitige Massnahmen eine neue Rolle zukommt.
- Die Mehrheit der Befragten sieht eine starke gemeinsame Verantwortung von Staat, Landwirtinnen und Landwirten, Detailhändlern und Konsumentinnen und Konsumenten für Produktions- und Konsumthemen.
- Zudem zeigt sich: Je höher die Verantwortung des Staates wahrgenommen wird, desto grösser ist die Akzeptanz verschiedener ernährungspolitischer Politikmassnahmen.
Literaturhinweis
Shared responsibility: understanding the role of governments, farmers, retailers, and consumers in food system policies.



