FiBL, ETH Zürich, Ö+L GmbH

Wege zu einer markanten Erhöhung des Selbstversorgungsgrades bei weniger Umweltbelastung

Wenn wir Ineffizienzen im Ernährungssystem wie zu viele Futtermittel vom Acker, Kraftfuttergaben an Rinder und Nahrungsmittelabfälle konsequent beheben, ist ein viel höherer Selbstversorgungsgrad bei weniger Umweltbelastung möglich.

Der Selbstversorgungsgrad (SVG) gibt an, wieviel der in einem Land konsumierten Lebensmittelkalorien im Inland produziert werden können. In der Schweiz sind es knapp 50 %. Viele Länder wollen den SVG erhöhen. Die Schweiz hat mit der Agrarpolitik AP2030+ das Ziel, dass der SVG zumindest nicht sinkt, und die «Initiative für eine sichere Ernährung» verlangt einen SVG von mindestens 70 %. In diesem Artikel modellieren wir verschiedene Massnahmen, die den SVG erhöhen und die negativen Umweltwirkungen der Landwirtschaft reduzieren können.

Die grossen Hebel: Feed-no-Food und weniger Abfälle

Ein viel höherer SVG ist möglich. Bei Ausschöpfung des Potenzials ergibt sich ein SVG von über 100 % und es könnten fast 10 Millionen Menschen, also mehr als doppelt so viele wie heute, aus dem Inland ernährt werden. Das muss natürlich nicht das Ziel sein, aber es zeigt, wie gross der Handlungsspielraum ist. Die grossen Hebel liegen einerseits in einer Reduktion des Food Waste, andererseits in der Nutzung von Ackerflächen für die menschliche Ernährung statt für Tierfutter. Denn beim Umweg über das Tier kann auf der gleichen Fläche nur ein Bruchteil der Menschen ernährt werden. Auch viele kleinere Hebel wie die Verfütterung von verbleibenden Abfällen an Schweine, eine Erhöhung der Anzahl Laktationen bei Milchkühen, eine effizientere Grünland-Bestandslenkung oder vermehrte Hochstammobstproduktion auf Grasland haben insgesamt eine wesentliche Wirkung.

Hohes Potential bei der Rinderfütterung

Neben hohem Kraftfutteranbau für Monogastrier statt für direkte menschliche Ernährung ist der Kraftfuttereinsatz in der Rinderhaltung besonders ineffizient. Ein weitgehender Kraftfutterverzicht in der Milchproduktion bei einer konsequenten Nutzung des Graslandes könnte eine Million Menschen zusätzlich ernähren, davon 0,4 Millionen von den Ackerflächen in der Schweiz und 0.6 Millionen im Ausland, über die Ackerflächen, auf denen heute das entsprechende Importfutter angebaut wird. Die Milchproduktion ginge dabei um 15 % zurück, was gerade den Überkapazitäten im Milchmarkt entspricht. Ein zusätzlicher Verzicht auf Futtermais könnte weitere 0,5 Millionen Menschen zusätzlich ernähren. Man beachte aber, dass gewisse geringe Kraftfutter- und Futtermaisgaben auch bei der Rinderfütterung Sinn machen können, insofern sie teils eine bessere Nutzung von Protein und Energie im Gras erlauben.

Während auch ohne Kraftfutter der inländische Bedarf von Milch gedeckt werden kann, müsste, solange der Fleischkonsum gleich hoch bliebe wie bisher, mehr Fleisch importiert werden. Das Tierwohl und andere Nachhaltigkeitsaspekte müssten dabei natürlich genau betrachtet werden, aber immerhin würde dies geschlossenere Nährstoffkreisläufe ermöglichen, da die Tiere dort gehalten würden, wo ihr Futter wächst, während heute die Futtermittelimporte zu den hohen Nährstoffüberschüssen im Inland beitragen.

Die Umwelt gewinnt

Schon mit diesen beiden Hebeln kann das Ziel der Klimastrategie ganz und beim Ammoniak das Reduktionsziel fast erreicht werden. Die Treibhausgasemissionen der Schweizer Landwirtschaft stammen vor allem aus der Verdauung der Wiederkäuer. Wegen der reduzierten Futtermittel vom Acker und weniger Futtermittelimporten nehmen deren Anzahl und somit die Emissionen ab. Auch bei den Ammoniakreduktionen sind die Haupttreiber die tieferen Tierzahlen und Hofdüngermengen aufgrund des reduzierten Futterangebots.

Viele Massnahmen wären relativ einfach umzusetzen

Viele Massnahmen wären ohne grosse Investitionen und Veränderungen umsetzbar. Ein Teil der Massnahmen könnte von den Betrieben bereits jetzt wirtschaftlich neutral oder sogar mit positiver Wirkung realisiert werden, z.B. in der Milch- und Rindfleischproduktion. Dazu müsste dies aber in der Aus- und Weiterbildung und in der Beratung thematisiert werden, was derzeit kaum geschieht.

Die Politik muss sich ändern

Viele Massnahmen werden durch ungünstige staatliche Rahmenbedingungen und Fehlanreize erschwert oder verhindert. So unterstützt das gegenwärtige agrarpolitische System mittels Grenzschutzmassnahmen und Direktzahlungen die tierische Produktion um ein Vielfaches stärker als die pflanzliche. Dadurch ist der Anbau von Nahrungsmitteln für die direkte menschliche Ernährung gegenüber dem Futteranbau heute oft nicht konkurrenzfähig.

Fazit

  • In der Schweiz ist ein viel höherer Selbstversorgungsgrad als heute möglich.
  • Die wichtigsten Hebel liegen bei einer Reduktion des Food Waste und einer Feed-no-Food-Strategie, insbesondere auch in der Wiederkäuerfütterung. Aber auch weitere Effizienzsteigerungsmassnahmen können einen wichtigen Beitrag leisten.
  • Die Umweltbelastung würde wesentlich reduziert werden. So könnte beispielsweise das Emissionsreduktionsziel bei den Treibhausgasen ganz und beim Ammoniak fast erreicht werden.
  • Es ist keine utopische Vision – viele der nötigen Massnahmen könnten schon heute relativ einfach umgesetzt werden. Andererseits muss sich die Politik verändern, die derzeit viel zu starke Anreize für die Tierproduktion und den Fleischkonsum setzt und eine Abkehr von der intensiven kraftfutterbasierten Tierhaltung hin zu pflanzlichen Alternativen erschwert. Es fehlen auch entsprechende Aus- und Weiterbildungsangebote.

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